Hilfe – ChatGPT versteht mich nicht!

Im Dezember habe ich als Urlaubsvertretung in einem Berufssprachkurs unterrichtet und kurz vor den Ferien der Gruppe ChatGPT vorgestellt.

Die Lernenden kannten bisher kein KI-Tool und waren fasziniert, als ich die Voice-Funktion vorgeführt habe. Einen Dialog mit einem deutschsprachigen Gegenüber zu führen und versuchen, sich die Gesprächsführung nicht abquatschen zu lassen. Was für eine Lerngelegenheit!

15 Minuten später hatten sich kleine Grüppchen von 2 bis 5 Personen gebildet, die sich über ein Endgerät beugten und versuchten, einen Dialog auf Deutsch zu führen.

Aber welch ein Entsetzen – bei allen passierte das Gleiche: Ob Arabisch, Englisch, Russisch oder Ukrainisch ihre Muttersprache war, bei allen wechselte ChatGPT in genau diese Muttersprache. Obwohl sie Deutsch gesprochen hatten. – Lachen, Irritation, Verletztheit; die Reaktionen waren vielfältig, aber immer heftig.

„Oje! Mein Akzent ist so stark, dass die KI nicht erkennt, dass ich Deutsch spreche.“ Wie gut war es, dass die kleinen Lerngruppen sich nun gegenseitig stärken und rüsten konnten. Ich ging von Gruppe zu Gruppe und gab den Tipp weiter, den ich von meiner Kollegin bekommen hatte: „Sagen Sie nach jedem Satz: Bitte antworte mir auf Deutsch.“

Im Laufe der Zeit bildete sich an allen Tischen ein wunderbares Miteinander heraus: Alle Teilnehmenden sprachen reihum einen kurzen Fragesatz ins Mikro: „Kannst du mir fünf Synonyme für das Wort ‚schnell‘ nennen? Bitte antworte auf Deutsch.“ – „Kannst du mir 5 Sätze nennen, mit denen ich ein Gespräch beginnen kann? Bitte antworte mir auf Deutsch.“ – „Wie kann ich jemandem freundlich sagen, dass ich ein Gespräch beenden möchte? Bitte antworte mir auf Deutsch.“

Und sie inspirierten sich gegenseitig, wurde in ihrem Deutsch immer mutiger, deutlicher, flüssiger – und jubelten, als ChatGPT irgendwann auf Deutsch antwortete, obwohl die Sprecherin den Hinweis auf die Sprache ausgelassen hatte.

Ich hatte diese Gruppe noch nie so konzentriert und ernsthaft erlebt wie in dieser Arbeitsphase. Fast 45 min lang haben sie nach Formulierungen und Synonymen gefragt, haben sich Unterschiede erklären lassen und sogar Widerspruch gewagt. „Ich sehe das ganz anders. Kundenorientierung ist keine Kompetenz. Bitte antworte mir auf Deutsch.“ Die, die gerade nicht sprachen, machten sich eifrig Notizen und Wortlisten.

Bei der abschließenden Nachbesprechung sagte eine der Teilnehmenden: „Ich habe nicht gewusst, dass ich einen so starken Akzent habe. Und es hat mich verletzt, nicht verstanden zu werden.“

Es ging allen in der Gruppe so. Es herrschte große Nachdenklichkeit und Offenheit.  Diese Gespräche mit einer KI hatten alle berührt. Aber nach dem ersten Schock, der ersten Kränkung wurde ihnen klar, dass das Gegenüber kein menschliches ist. Sie haben erlebt, dass es freundlich bleibt, immer wieder mit von vorne anfängt und keine Erinnerungen hat. Einer der Lernenden brachte es so auf den Punkt: „Es ist schön, so viele Fragen stellen zu können. Und nicht zu hören: Das solltest du aber schon lange wissen.“

Aber noch etwas anderes hatte sie beeindruckt. „Man muss ganz schön bestimmt sprechen, wenn man mit ChatGPT spricht. So rede ich mit meinen Kindern“, lachte eine der Teilnehmerinnen. „Aber ich traue mich nicht, so mit einer Deutschen zu sprechen. So selbstbewusst. Gut, dass ich das jetzt richtig üben kann.“

Als wir am Ende des Unterrichts zusammengetragen haben, was wir in der Ferienzeit machen wollen, sagten alle Teilnehmenden in unterschiedlichsten Versionen immer wieder Folgendes: „Ich werde immer wieder und so lange mit ChatGPT sprechen, bis es mein Deutsch trotz Akzent als Deutsch erkennt.“ – Und alle strahlten dabei. Ihr Ehrgeiz war geweckt.