Ein Appell: Unternehmen, flankiert das Onboarding von Fachkräften aus aller Welt durch Sprachcoaching!
Probezeiten haben ihren Grund – ob die neue Person und die ausgeschriebene Stelle zusammenpassen, ob das Miteinander im Team gelingt und ob Werte und Kultur von neuer Mitarbeiterin und Organisation in Einklang zu bringen sind, all das findet man erst im Laufe der Zeit heraus.
Für Mitarbeitende, die mit einer anderen Muttersprache oder in einem anderen Land aufgewachsen sind, ist das Ankommen in einem neuen Unternehmen oft besonders schwierig.
Wenn man keine oder ganz andere Arbeitserfahrungen hat, wenn man andere Formen der Arbeits- und Aufgabenteilung sowie Kommunikationsmuster gewohnt ist, kann das alle Beteiligten überfordern. Findet man als neue Mitarbeiterin oder als neuer Mitarbeiter seinen Platz in diesem Gefüge nicht, geht man früher oder später auseinander.
Experten schätzen, dass 20 bis 25% aller Arbeitsverhältnisse noch während der Probezeit gekündigt werden. Die Gründe für das Nicht-Zusammen-Finden sind vielfältig. Bei Mitarbeitenden mit Zuwanderungsgeschichte wird die Vielschichtigkeit des Phänomens manchmal überlagert von Grenzen im Deutschen: Kernpunkte von Gesprächen verstehen, Relevantes von Nicht-Relevantem zu unterscheiden, Texte überfliegen – all das setzt nicht nur hohe Sprachkompetenz, sondern Vertrautheit mit dem Kontext voraus, in dem man sich bewegt. Wenn das Miteinander nicht gelingt, wird das monokausal mangelnden Deutschkenntnissen zugeschrieben.
Ich habe in der Vergangenheit öfter erlebt, dass Bewerberinnen, für die Deutsch eine Zweitsprache ist, schon im Bewerbungsgespräch auf ihre sprachlichen Grenzen hinweisen und sich eine Unterstützung für die erste Phase im Unternehmen wünschen. Häufig wird von Unternehmensseite dieses Anliegen gehört, aber unterschätzt: Weil die Bewerberinnen im mündlichen Gespräch über die eigene Berufsbiografie und die beruflichen Ziele gut kommunizieren, wird auf „gutes Deutsch“ in allen anderen Bereichen geschlossen. Und darauf, dass sich die sprachlichen Lücken im Prozess der ersten Tage und Wochen schnell schließen.
- Über die eigenen Erfahrungen sprechen zu können bedeutet aber nicht, dass man ebenso souverän über Konzepte, Theorien und fachliche Sachverhalte sprechen kann.
- Wenn man im Bewerbungsgespräch rollenadäquat handelt, bedeutet das nicht, dass man in den verschiedenen beruflichen Settings das „angemessene Rollenverhalten“ kennt und ausüben kann.
- Sich mündlich gut ausdrücken zu können bedeutet nicht, dass man bildungssprachliche und Fachtexte verstehen kann.
- Wenn man einen Sachverhalt beschreiben kann, bedeutet das nicht, dass man daraus nächste Schritte ableiten kann.
- Eine gute mündliche Ausdrucksfähigkeit führt nicht automatisch zu einer guten schriftlichen Ausdrucksfähigkeit.
Ich begleite seit langem Unternehmen, die Menschen aus aller Welt ausbilden und internationale Fachkräfte beschäftigen. Wir Expertinnen für Deutsch als Zweitsprache werden immer noch erst dann eingebunden, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist – wenn die ersten Monate im Unternehmen zu der Erkenntnis geführt haben, dass das „Deutschproblem“ doch größer als gedacht ist.
Sprachtraining und Sprachcoaching für den Beruf sind wirkungsvolle Instrumente. Idealerweise begleiten sie die ersten Schritte im Unternehmen. Wenn sie dann zum Einsatz kommen, nachdem und weil das Ankommen am neuen Arbeitsplatz nicht gelingt, gibt es in der Regel nicht mehr nur sprachliche Hürden zu bewältigen. Vieles hat sich dann bereits aufgestaut.
Wenn wir Sprachcoaches – allparteiliche Prozessbegleiterinnen – in Krisensituationen eingebunden werden, verwundert es nicht, wenn im Laufe des Sprachcoaching-Prozesses klar wird: Das Arbeitsverhältnis muss gelöst werden.
Daraus kann man zwei Schlüsse ziehen:
- Sprachcoaching hilft nicht.
- Sprachcoaching ermutigt Mitarbeitende zur Kündigung.
Man kann aber auch zwei andere Schlüsse ziehen:
- Sprachcoaching und Sprachtraining sollten den Ankommensprozess flankieren, damit Krisen gar nicht erst entstehen.
- Sprachcoaches müssen gute Grundlagen im Bereich der Organisationsentwicklung haben.
Ich habe gerade erlebt, dass eine zugewanderte Fachkraft, die ich in einem Sprachcoaching begleitet habe, das Arbeitsverhältnis gekündigt hat. Die Gespräche im Sprachcoaching, bei denen sie den Ist-Zustand aus ihrer Sicht in Worte fassen musste, hat etwas zutage gefördert, was bereits da war.
Ich bin gespannt, wie mir die Auswertung mit der Geschäftsführung gelingt: Können wir gemeinsam auf das Ganze schauen mit den folgenden Fragen?
- Wurde eine bestehende Stelle neu besetzt oder wurde eine Stelle neu geschaffen?
- Gab es Erwartungen, die durch die Leistung von Vorgängern geprägt sind oder brachte die neue Stelle das bisherige Gefüge in Bewegung?
- Wie viel Kontext- und Systemwissen ist für die fragliche Stelle notwendig?
- Welche Sprachhandlungen müssen bewältigt werden?
- Wie viel Ressource – Zeit, Ruhe und Aufmerksamkeit – steht für das Onboarding neuer Mitarbeitenden zur Verfügung?
- Gibt es eine Kultur der Lernbegleitung im Unternehmen? Wird das Selbst-Hineinfinden vorausgesetzt oder kann eine systematische Flankierung der Personalentwicklung sinnvoll sein?
Prozesse, die scheitern, sind ärgerlich, lästig und bitter. Sie sind auch sehr teuer. Sie können dazu verleiten, mehr vom Falschen zu tun. Sie können aber auch ein Weckruf sein. Weil sie uns aufmerksamer machen für Themen, Besonderheiten und Spezifika, die wir bisher gar nicht im Blick oder komplett falsch eingeschätzt haben.
Ich schreibe diese Gedanken aus zwei Gründen nieder. Zum einen hilft mir der Schreibprozess, meine Gedanken zu sortieren und das Erlebte zu verarbeiten. Auf der anderen Seite ist dieses Erlebnis ein weiterer Beleg für meine Arbeitshypothese, die ich teilen möchte: „Dort, wo ein Problem sichtbar wird, ist es oftmals nicht entstanden.“ Das führt zu einem weiteren Gedanken, der uns bei Deutsch im Job vermehrt beschäftigt: „Lasst uns nicht sofort nach einer Lösung suchen, sondern Zeit dafür nehmen, uns die richtige Frage zu stellen.“