An den Grenzen anderer sehe ich, was ich schon kann

Im Gespräch mit Kollegen wird wir immer wieder bewusst, dass das Wort „Fehler“ schon lange aus meinem Wortschatz verschwunden ist. Das hat zwei Gründe: Zum einen wird es in der Regel für eine Handvoll grundlegend unterschiedlicher Phänomene genutzt, die mehr mit Entwicklung, Wachstum und Lernen als mit Defiziten zu tun haben. Wer lernt, befindet sich in der „Zone der nächsten Entwicklung“ (Wygotski) und braucht keinen Hinweis auf „Fehler“, sondern fordernde Aufgaben, Lernpartner und Impulse, die ihn weiterbringen.

Zum anderen erinnert mich das Wort „Fehler“ an eine veraltete und trotzdem noch weit verbreitete Unterrichtstradition, in der die Lehrkräfte schon wissen, was sie hören oder lesen wollen. Dort entsteht selten etwas Neues, Überraschendes oder Freudvolles.

Mit diesen „Fehler-Such-Blick“ blicken einige Kollegen aus der Bildungsbranche auch auf ChatGPT und andere KI-Tools. Wie bedauerlich! Es ist so aufregend, was alles schon da ist. Wir werden in den kommenden Jahren auf eine Art unterrichten und lernen können, die ich mir heute noch gar nicht vorstellen kann.

Aber auch jetzt schon können wir mit ein wenig KI-Unterstützung unseren Unterricht noch aktivierender und passgenauer gestalten, ohne uns stundenlang vorzubereiten. Das folgende Beispiel macht deutlich, dass gerade die Besonderheiten, Grenzen oder „Fehler“ der KI ein Gewinn sind!

„Deutsch am Arbeitsplatz“ – DALL-E hat folgenden Kita-Grundriss für mich generiert. Mein erster Gedanke ist: „Oh, da muss ich noch ein bisschen nachsteuern.“
Dann wird mir klar: Nein! Für den Deutschunterricht ist dieser unvollkommene Grundriss genau richtig.

Nicht ich korrigiere die Beschriftungen.
Nicht ich prüfe, ob jeder Raum überhaupt eine Tür hat.
Und nicht ich entscheide, dass die Küche größer werden muss.

All das werden meine Kursteilnehmenden machen. Da sie als Reinigungskräfte beschäftigt sind, kennen sie viele Gebäude von innen wesentlich besser als ich.

Gibt es etwas Schöneres für meine kleine Gruppe – allesamt Personen, die nur wenig Zeit ihres Lebens in Klassenräumen verbracht haben – , als die Beschriftungen zu korrigieren, den Grundriss zu verschieben und mir zu erklären, welche Besonderheiten es in Kitas gibt?

Die Arbeitsergebnisse anderer Menschen zu verbessern ist nichts Angenehmes. Wenn es aber darum geht, den KI-generierten Grundriss zu verbessern, können wir unbeschwert loslegen. Ich freue mich auf das, was entstehen wird,